Herr Biawa, wo sehen Sie das größere Potential: bei der additiven Fertigung von Werkstoffen aus Metall oder aus Kunststoff?
JMB: Diese Frage lässt sich nicht so ohne weiteres beantworten. Wie immer gibt es hier zwei Seiten.
Die Medizintechnik und die Luft- & Raumfahrttechnik gehören in beiden Fällen zu den Vorreitern. Kunststoffe sind zum Beispiel in der Medizintechnik weit verbreitet. Der Anwendungsbereich reicht von der Verpackung von Pharmazeutika über Einwegartikel wie Spritzen bis hin zur mehrfach verwendbaren Operationswerkzeugen. Auch werden hier Konstruktionswerkstoffe wie PA 66, PA 6, PP oder PEEK eingesetzt.
Im Vergleich zum 3D-Druck mit Kunststoffen ist der Metalldruck momentan noch unausgereift, doch das Potential ist riesig. Die entsprechenden Technologien werden in naher Zukunft die tragenden Säulen der additiven Fertigung sein, davon bin ich überzeugt.
Wir bei der MCB Group investieren zunächst in Anlagen für den 3D-Druck von Kunststoffen. Für Werkstücke aus Metall bieten wir dieselben umfangreichen Ingenieursdienstleistungen an und sind natürlich auch in der Lage, bei einem unserer Partner additiv zu fertigen. Wir möchten die Technologie aus Ingenieurssicht begleiten und viele entsprechende Projekte betreuen. Wir beobachten die Entwicklung sehr genau.
Eine Frage an beide Herren: 3D-Druck wird sehr oft in einem Atemzug mit Industrie 4.0 genannt. Welche Rolle spielt die additive Fertigung in diesem Zusammenhang, wenn man z.B. an digital vernetzte Fabriken denkt?
TN: Ich gehe davon aus: Systeme wird man in Zukunft so gestalten, dass man sowohl additiv fertigt als auch nachbehandelt, was Oberflächen- und Materialeigenschaften angeht. Man wird on demand produzieren – also Einzel- oder Kleinserienfertigung –, da die Umrüstzeiten nicht die einer klassischen Werkzeugmaschine sein und daher fast keine Rolle mehr spielen werden.
Da also alles zunehmend automatisiert wird, passt der 3D-Druck hervorragend in die Industrie 4.0. Beides sind Elemente einer industriellen Revolution: Nach der Dampfmaschine, der Elektrifizierung und dem Internet nun eben die Industrie 4.0, mit 3D-Druck, aber auch zum Beispiel intelligenten Bauteilen, bei denen sensorische und aktorische Eigenschaften direkt in das Material eingebracht werden.
JMB: Mit additiven Fertigungsverfahren wird die Zeit zwischen der Fertigstellung einer Konstruktionszeichnung, dem Produktionsbeginn und der Verfügbarkeit erster Produkte minimiert.
Additive Fertigung ist ein komplett digitaler Prozess. Aufgrund des Datenmanagements (Workflow) werden die Anlagen datentechnisch in die Fertigungsumgebung und die dazugehörigen Rechnersysteme eingebunden. Im Einzelnen gehören dazu unter anderem spezifische Engineering-Tools und 3D-CAD/CAE-Systeme. Dies macht es möglich, die verschiedenen Varianten eines Produkts per Simulation durchzuspielen, hocheffizient zu bewerten und dann zu produzieren.
3D-Druckprozesse sind per se digital – von Daten zum Bauteil ohne Formenbau. Welche Schritte sind bis zur massenhaften industriellen Verbreitung der additiven Fertigung noch notwendig?
JMB: Zur massenhaften industriellen Verbreitung der additiven Fertigung müssen noch viele Faktoren optimiert werden.
Die Palette geeigneter Werkstoffe für additive Fertigungsverfahren muss erweitert werden (z.B. technische Thermoplaste, farbige Werkstoffe), die Werkstoffe müssen in ihren Eigenschaften verbessert werden. Die bestehenden Technologien zur Oberflächenbeschichtung der additiv gefertigten Bauteile müssen optimiert und die Geschwindigkeit, Stabilität, Automatisierung, Stabilität und Reproduzierbarkeit der Prozesse deutlich verbessert werden – je nach Druckverfahren in unterschiedlicher Ausprägung.
Der größte Schritt ist die Reduzierung der Kosten für 3D-Drucker. Wenn die Preise sinken, wird der Absatz deutlich ansteigen.
Der zweite Faktor ist die Materialverfügbarkeit. Es müssen neue Materialien für 3D-Druck-Anwendungen entwickelt werden.
Die Zuverlässigkeit der Hardware muss optimiert werden und die Produktionsgeschwindigkeit erhöht.
Die Automatisierung fehlt noch fast komplett.
TN: Die Kurve der Verbreitung über der Zeit wird – wie bei anderen disruptiven Technologien auch – zu Beginn e-Funktion sein, die ihre stärkste Krümmungsänderung, bei 10-20 Prozent Marktdurchdringung hat. Wann werden wir an dem Punkt sein? Einerseits, wenn die Systeme stabil laufen, wenn man also weiß, mit welchem System man was stabil fertigen kann. Andererseits, wenn man das Vertrauen hat und weiß, dass es funktioniert.
Die Pioniere müssen sich bewiesen haben.
TN: Genau. Wenn man diese Durchdringung also erreicht hat, dann steigt die e-Funktion richtig an. Und das hängt davon ab, wie stabil und reproduzierbar jetzt schon produziert werden kann, wie reibungslos die Produktion funktioniert, und ob Geschwindigkeit und Kosten und Qualität stimmen.
Dann ist es auch noch so, dass der Mittelstand relativ große Beharrungskräfte hat. Wenn sich in diesen Kreisen nachhaltig herumgesprochen hat, dass man für einzelne Bauteile die klassische durch die additive Fertigung ersetzen kann und sich das auch noch lohnt, dann könnte das ein großer Treiber sein. Dass Airbus zum Beispiel mit 3D-gedruckte, bionisch entworfene Bauteile nutzt, hat durchaus Signalwirkung. In der Breite wird sich die Technologie erst durchsetzen, wenn der Mittelstand erkennt, dass es ihm in Zukunft einen Benefit bringt, den er bis jetzt noch nicht hat. Das muss vermittelt werden.
Und kleine und mittelständische Unternehmen brauchen den Benefit natürlich deutlich schneller, d.h. es muss vor allem billiger werden.
TN: Ja, und zuverlässig. Es wird heute zum Teil noch nicht so recht an die reproduzierbare Qualität geglaubt. Aber wenn sich herumspricht, dass sie gegeben ist, kann sehr schnell der Punkt erreicht sein, an dem die e-Funktion steigt. Hier haben Firmen wie MCB 3D Technology die Chance, Meilensteine zu setzen.
Eigentlich ist die nächste Frage damit auch schon fast beantwortet, Herr Netzel: Verstehen Sie die Zögerlichkeit innerhalb des klassischen produzierenden Gewerbes in Bezug auf additive Fertigung?
TN: In Deutschland ist man mitunter nicht so progressiv wie in anderen Ländern, in denen auch einfach mal probiert und geschaut wird, ob es funktioniert. Hier in Deutschland muss immer alles 100-prozentig funktionieren. Dies trägt allerdings auch dazu bei, dass „Made in Germany“ ein Qualitätsmarkenzeichen ist.
Welche Rolle, glauben Sie, wird die additive Fertigung in der Produktionslandschaft von morgen spielen?
TN: Ich denke, das eigentliche Knowhow werden die Konstruktionsunterlagen sein. Auf Basis von Konstruktionsunterlagen, die an einem beliebigen Ort entwickelt werden können, werden Dinge on demand druckbar sein. Es wird die Fertigung revolutionieren.
Auf viele Bereiche wird dies Einfluss haben, etwa auch auf die Ersatzteilhaltung: So wird ein Schiff, das bislang ja eine große Menge an Ersatzteilen an Bord haben muss, in Zukunft unter anderem nur einen 3D-Drucker und die entsprechenden Konstruktionsunterlagen mitführen müssen und die Ersatzteile dann nach Bedarf fertigen. Eine völlig neue Herangehensweise.
Und Bauteile, die heute gehärtet werden, oder hochtemperaturfest sein müssen? Das ist ja z.B. bei Schiffen der Fall. Meinen Sie, dass physikalische Eigenschaften, die heute mit Nachbehandlungen erzielt werden, irgendwann auch einfach so aus dem Drucker möglich sein werden? Ein Schiff kann so eine Nachbehandlung heute nicht leisten.
TN: Auch Zeitungsdruck war früher eine sehr komplexe Geschichte, mit riesigen, mehrstufigen Maschinen. Heute wird alles von einem einzigen Automaten erledigt. Aus meiner Sicht wird es in Zukunft Anlagen geben – das sage ich jetzt mal spekulativ –, in denen man Nachbehandlungen halbautomatisch wird durchführen können. Vielleicht gekoppelt mit Robotik, wer weiß? Sicherlich hängt das auch von der Art der Nachbehandlung, dem Automatisierungsgrad und dem jeweiligen Ausgangsmaterial ab. Aber das halte ich alles für lösbar. Wir stehen erst am Anfang.
Wie gesagt, ich denke, in zehn bis fünfzehn Jahren wird es State of the Art sein, dass das Knowhow in der Zeichnung steckt, beim Konstrukteur, beim Ingenieur – der die Zeichnung mit Methoden entwirft, die teilweise heute auch noch in Entwicklung sind, beispielsweise nach bionischen Prinzipien.
Eine Schlussfolgerung mehrerer Studien ist, dass sich mit der additiven Fertigung auch die Arbeitsweise in den Entwicklungsabteilungen wird ändern müssen. Wie ist das zu verstehen?
TN: Nun, zum einen ist es so, dass Produktentwicklung schon heute sehr virtualisiert abläuft, das heißt es wird zum Beispiel modellbasierte Systementwicklung betrieben. Zum anderen wird Konstruktion in Zukunft völlig anders ablaufen – wie ich es ja schon beschrieben habe. Konstruktion und Simulation werden viel stärker ineinander greifen, da dies deutlich schneller zu einem Produkt führt, vor allem wenn es additiv gefertigt wird.
Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen werden im Entwicklungsprozess also weiter zusammenrücken, die Grenzen werden verschwimmen, weil sie enger zusammenarbeiten müssen und werden.
Meinen Sie, das gilt auch für die Schnittstellen zwischen Hochschulen und den Unternehmen?
TN: Ja, das merken wir jetzt schon. Knowhow-Träger wie Studierende, die ja in diesen Technologien ausgebildet werden, werden bereits frühzeitig in Forschungs- und Entwicklungsprojekten von Unternehmen eingesetzt und stellen damit schon während ihres Studiums einen Mehrwert für diese Unternehmen dar. Es wird also noch viel mehr Transfer stattfinden.
Die Hochschulen werden in diesem Bereich ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen, um das Knowhow, das sie als Hochschulen haben, zu vermarkten und zu sichern. Auch hier gibt es in Deutschland durchaus noch Nachholbedarf.
Für welche Anwendungen ist additive Fertigung nicht die beste Lösung? Wo sind die – derzeitigen und inhärenten – Grenzen dieser Technologie? Herr Biawa?
JMB: Ich würde die Frage gerne von hinten aufzäumen: Wenn die Produktionsvolumina relativ niedrig sind und die Komplexität hoch ist, dann ist additive Fertigung das beste Verfahren. Das sind meiner Meinung nach die wichtigsten Prozessgrößen. Wenn die Teile groß sind, ist es schwieriger, den Einsatz additiver Prozesse zu rechtfertigen.
Und was meinen Sie, Herr Netzel?
TN: Bauteile, die sich subtraktiv besser fertigen lassen, sind wahrscheinlich solche, die verschiedene Eigenschaften in einer Baugruppe vereinen. Außerdem gibt es physikalische Eigenschaften, die mit additiv gefertigten Teilen derzeit noch nicht realisiert werden können, zum Beispiel Hochfestigkeit. Das ist natürlich eine Grenze der Anwendung.
Wenn Bauteile sowohl mechanische als auch etwa elektrische oder sensorische Funktionen beinhalten, ist es heute so, dass die Elektrik bzw. Sensorik auf einen zuvor gefertigten mechanischen Unterbau aufgebracht wird. Diese Grenze wird aber in absehbarer Zukunft verschwinden.
Bei der Bauteilgröße sehe ich keine Realisierbarkeitsgrenze.
Ist der 3D-Drucker für Sie beide der Ausgangspunkt der vierten industriellen Revolution?
TN: Ob er der Ausgangspunkt ist, kann ich nicht einschätzen. Ich würde eher sagen, die nächste industrielle Revolution beinhaltet den 3D-Druck. 3D-Druck plus Umgang mit Daten, also Algorithmisierung, ist das Thema. Viele nennen das ja Digitalisierung, aber es geht darum, intelligente Algorithmen zu schaffen, zum Beispiel in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Und additive Fertigung wird ein integraler Bestandteil dieser Entwicklung sein.
JMB: Wir bei der MCB Group glauben fest an die Zukunft der additiven Fertigung von Kunststoffen und Metallen und werden die Technologie weiter mit Engagement begleiten. Bis zu einer wirklichen industriellen Revolution müssen jedoch noch sehr viele Hürden überwunden werden.